GOTT UND POLITIK

Die aufgeklärten westlichen Demokratien fussen auf christlichem Fundament. Will der Westen den Kampf gegen den Islamismus gewinnen, kann er nicht umhin, seine eigenen Werte und deren Geschichte anzuerkennen

Gott und Politik

Die aufgeklärten westlichen Demokratien fussen auf christlichem Fundament.
Will der Westen den Kampf gegen den Islamismus gewinnen, kann er nicht umhin, seine eigenen Werte und deren Geschichte anzuerkennen.

Von Gerhard Pfister
1/3/2018
@gerhardpfister

«Das 21.Jahrhundert wird religiös sein, oder es wird nicht sein.» Diese Beurteilung von André Malraux hätten am Silvester des Jahres 1999 die meisten Menschen im Westen als lächerlich mittelalterlich abgetan. Der Zeitgeist wehte dem Ende der Geschichte entgegen, wie es Francis Fukuyama 1992 prophezeit hatte. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Ostblocks und der Sowjetunion glaubte Fukuyama, dass nun Demokratie und Marktwirtschaft sich global durchsetzen würden; ein Zeitalter des Friedens und Wohlstands werde die marxistische Vision vom Ende der Geschichte durch den Kommunismus nun mit dem Kapitalismus ersetzen.

Die Zwillingstürme

Es stimmt, der Mauerfall 1989 war eine Zeitenwende. Aber die Widerlegung von Fukuyama durch die Geschichte erfolgte schon zwölf Jahre später: 9/11, der Sturz der Twin Towers in New York am 11. September 2001, wurde zur Ikone einer wiederum neuen Zeit. Der einfachen ideologischen Symmetrie des Kalten Krieges folgten die neunziger Jahre als chaotische Unübersichtlichkeit. Dann kam die neue Asymmetrie der Kriege, des Terrorismus und die islamistische Ideologie des Kampfs gegen den Westen, gegen die christlichen Kreuzritter, die Demokratie, die Aufklärung — die westlichen Werte und das Gesellschaftsmodell, das sich global hatte durchsetzen können und eine Attraktivität entwickelt hatte, die auch das rückständige Gottesstaat-Modell islamischer Staaten in Bedrängnis brachte.

Islamisten reagierten darauf mit Terrorismus. Zuerst und immer noch hauptsächlich gegen Muslime in islamischen Staaten, später aber stärker gegen den Westen: in Europa und den USA.

Ideologie der Terroristen. Der Terrorismus der Islamisten trifft auf eine Zivilisation, die nicht versteht, weshalb sie angegriffen wird. Die überrascht ist, die von den Träumereien eines Fukuyama eingelullt ist. Wenn man vergleicht, wie Staatsmänner und -frauen des Westens im Kalten Krieg sich dem sozialistischen Gegner entgegenstellten, dem Terrorismus der Linken, dem sowjetischen Imperialismus, und wie hilflos heutige führende Politiker agieren, kommt man nicht umhin, daran zu zweifeln, dass dieses Mal der Westen den Kampf gewinnen wird. Wo ist der Helmut Schmidt, der in der Nacht, als er den Einsatzbefehl in Mogadischu geben musste, seine Kanzlerschaft riskierte, gleichzeitig mit Intellektuellen über die Ideologie der Terroristen diskutieren wollte? Vergleicht man das mit den hilflosen Bedauernsäusserungen der gegenwärtigen Kanzlerin nach den Attentaten in Deutschland, nachdem sie in einer beispiellos naiven Spontanhandlung ungefähr tausend potenzielle Terrorismusverdächtige ohne Registrierung nach Deutsch-land einreisen liess, dann vermisst man Schmidt umso mehr.

Die Omar Ibn Al Jattab Moschee in Maicao-Colombia ist die zweitgrößte in Lateinamerika

Und jetzt? Was hat das alles mit dem Titel dieses Artikels, «Gott und Politik», zu tun? Mehr, als die westeuropäischen Spitzenpolitiker leisten können. Die islamistische Ideologie erweist sich eben deshalb als so gefährlich, weil sie den Westen an seiner empfindlichsten Stelle trifft: der Verwechslung von Liberalismus mit Gleichgültigkeit. Der Verwechslung von Laizität mit religiöser Inkompetenz. Der Verwechslung von Freiheit mit Kulturrelativismus. Der hetzerische Vorwurf der islamistischen Terroristen, der Westen glaube ja an nichts mehr und gehöre deshalb bekämpft, ist so zutreffend wie einst der Vorwurf der linken RAF, der Westen beute die Arbeiterklasse aus. Deshalb sollte es Aufgabe der Politik sein, Antworten zu liefern. Es genügt nicht, den Zibelemärit mit Betonklötzen zu schützen. Es braucht inhaltliche Antworten, Gegenkonzepte, Kompetenz. Und hier kommt André Malraux ins Spiel.

Wer negiert, dass die westliche demokratische Gesellschaft und ihr freiheitliches Konzept auf den Grundlagen des christlichen Abendlandes stehen, der verkennt den christlichen Impetus der Aufklärung. Kant und seine Gefährten waren nicht antichristlich, sondern antikirchlich, im Namen der christlichen Vernunft. Die Würde jedes Menschen bestand für sie in seiner einzigartigen Gott-Ebenbildlichkeit. Daraus begründet sich seine Freiheit. Das ist das christliche Menschenbild — und nur das christliche. Wer das bestreitet, der möge Staaten nennen, deren Demokratie der westlichen gleichkommt und die nicht vom Christentum geprägt sind.

In diesem Sinne kann man durchaus behaupten, dass die Verehrung des christlichen Gottes im Westen dazu führte, dass der Mensch befreit wurde, dass Demokratien entstanden. Das christliche Gottesbild begründete die Demokratie. Ich blende nicht aus, dass im Namen des Christentums jahrhundertelang antichristliche, unmenschliche Taten verübt wurden. Ich betone nur, dass die Entwicklung zu mehr Humanität über die Jahrhunderte allein im christlich geprägten Kulturraum möglich war.

Die Deutschen haben viele Probleme mit den antijüdischen Muslimen, die sie begrüßten

In einem Interview sagte Peter Scholl-Latour ziemlich genau vor fünf Jahren: «Die Welt befindet sich in einer religiösen Gärung. Europa bildet da eine Ausnahme, und es ist eine unserer Schwächen, dass wir den Sinn für die Religion verloren haben. Es Ist ein erstaunliches Phänomen, dass es – vor allem in Ostdeutschland – immer mehr bekennende Atheisten gibt. Dagegen besinnt man sich in Russland viel eher der christlichen Wurzeln. Dabei stand das Land viel länger und viel radikaler unter der kommunistischen Zwangsherrschaft. Die wiederaufgebaute Erlöserkirche, in der die Punkband Pussy Riot ihren Unfug aufführte, war von Stalin gesprengt worden! Diese dummen Mädchen führten ihren Tanz an einem Ort auf, der für Tausende von orthodoxen Geistlichen steht, die durch den Kommunismus ihr Leben verloren.»

Vor fast zwanzig Jahren lancierte der CDU-Politiker Friedrich Merz eine Diskussion über eine «Leitkultur». Er war seiner Zeit voraus. «Demokratische Gesellschaften sind zerbrechlich. Das Leben ohne übergreifende Wahrheiten, ein Leben mit Risiko, Unbehagen und Unsicherheit, das ist der Preis der Freiheit. Die Demokratie lebt von der beständigen Selbstüberprüfung und Erneuerung ihrer Grundwerte und Normen. Reflexion ist Daueraufgabe, um die Grundwerte nicht zu vergessen, aber auch um sie in Bezug auf gewandelte Verhältnisse anwendbar zu machen. In dieser Weise könnte man auch den umstrittenen Begriff Leitkultur verstehen. Leitkultur – das ist das grosse Selbstgespräch und die grosse Selbstverständigung der Gesellschaft mit sich selbst über die eigenen Grundlagen und Ziele, darüber, wie sie ist und wo sie hinwill. Nur so entsteht moderne Identität. Werte in der Politik müssen deshalb immer wieder neu ausgehandelt werden. Politik darf keine Leitkultur vorschreiben. Und eine Gesellschaft darf keine Leitkultur befehlen. Sondern sie muss dafür sorgen, dass in einer Gesellschaft der Rahmen da ist, innerhalb dessen man diskutieren, verhandeln, entscheiden darf, welche Regeln in unserer Gesellschaft das friedliche Zusammenleben ermöglichen sollen.»

Sinngebung und Orientierung. Friedrich Merz wurde von Kanzlerin Merkel seinerzeit weggedrängt. Aber im Juli dieses Jahres bekannte sie sich im Wahlprogramm der CDU/CSU zu einer «freiheitlichen Leitkultur». Letzte Woche stellte der SPD-Aussenminister Sigmar Gabriel die Frage in den Raum, ob seine Partei sich nicht mit der Leitkultur auseinandersetzen sollte. Wer meint, Sinngebung und Orientierung seien keine Aufgabe der Politik, macht es sich zu leicht. Unsere Gesellschaft und unser Staat leben von der Voraussetzung, die sie nicht selbst begründen können und die sie nicht selbst geschaffen haben: der christlichen Kultur und Religion. Diese Herkunft führt nicht zu einem Gottesstaat, sondern zum Gegenteil, der Demokratie. Will der Westen den Kampf gegen den Islamismus gewinnen, kommt er nicht umhin, seine eigenen Werte und deren Geschichte anzuerkennen. Helmut Schmidt wusste es: Der Kampf gegen den Terrorismus ist nicht nur mit Waffen zu gewinnen, sondern auch mit Haltung und Werten.
Das 21.Jahrhundert des Westens wird religiös sein. Oder es wird nicht sein. Keine Religion ist eben auch keine Lösung.

*Gerhard Pfister ist Nationalrat (ZG) und CVP-Präsident.
Dieser Artikel wurde am 30. Dezember 2017 in der Weltwoche publiziert. Die Übersetzung ins Spanische erfolgte mit Erlaubnis des Autors

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